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Auch in der Weihnachtszeit gibt es Rikscha-Ausflüge - zeitgemäß geschmückt. Foto: Claudia Derksen-Beyer

Einschränkungen durch Alter oder Handicap: Zwei Rikschas und ein engagiertes Team sorgen für Mobilität

Die Freiwilligen-Zentrale Viersen, in Trägerschaft der Diakonie Krefeld & Viersen, hat in Kooperation mit dem SKM Kreis Viersen e.V., der Stiftung Theresienheim für Bürger in Dülken und der ev. Kirchengemeinde Dülken, einen ehrenamtlichen Rikscha-Fahrdienst für Senior*innen und Menschen mit Handicap realisiert. Durch die Unterstützung der Stiftung Theresienheim für Bürger in Dülken, der Matthias Schmitz Stiftung Dülken und dem Rotary Club Kempen-Krefeld, wurde dieses Projekt ermöglicht.

Seit dem letzten Jahr gibt es den ehrenamtlichen Rikscha-Fahrdienst in Viersen. Er bietet Menschen mit eingeschränkter Mobilität die Möglichkeit, die vielen Sehenswürdigkeiten in Viersen sowie die Natur am Niederrhein rund um Viersen zu erkunden. Dieses kostenlose Angebot soll Menschen ein Gefühl der Freiheit und die Teilhabe an der Gesellschaft vermitteln.

Von montags bis freitags kann die Rikscha mit Fahrer kostenlos für einige Stunden gemietet werden. Es gibt zwei Rikschas, die in Dülken in der evangelischen Gemeinde untergestellt sind und regelmäßig gewartet werden. Eine davon ist mit mit einem Dach ausgestattet. An kühlen Tagen kann ein Fußsack oder eine Wolldecke genutzt werden. Zehn ehrenamtliche Rikscha-Fahrer*innen sind abwechselnd im Einsatz und alle haben ein Verkehrssicherheitstraining und praktische Fahrübungen absolviert.

Botenfahrten wie Einkäufe oder Arztbesuche sind vom Fahrdienst ausgeschlossen, es werden nur Freizeitfahrten angeboten.

Die Rikscha-Fahrer*innen haben schon viele Fahrten mit Senioren gemacht, die begeistert waren. Für viele ist dies die einzige Möglichkeit, in Kontakt mit anderen Leuten zu kommen, sich die Umgebung von Viersen anzusehen oder einen Cafébesuch zu machen.

Wenn Sie neugierig geworden sind und auch eine Rikscha-Fahrt machen möchten, melden Sie sich bei der Freiwilligen-Zentrale Viersen (Tel. 02162 8178717 oder per Email: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.). Dort erfahren Sie alles weitere über den Verlauf.

Einer der Fahrer berichtet über ein Fahrerlebnis mit einer Seniorin:

Markus Fegers: Kaffeefahrt mit Martha

„Schritt eins ist geschafft.“ Erleichtert seufzt meine Passagierin, eine gepflegte Dame schwer bestimmbaren Alters, als sie mit meiner Hilfe in die Rikscha geklettert ist. „Ehrlich gesagt: Ich habe schon ein bisschen Angst; es ist ja alles neu für mich, und ob das Wetter hält …“
„Sie haben ein Dach über dem Kopf, Frau Marcinkovska“, sage ich und verstaue ihre Gehhilfen hinter der Sitzbank. „Wenn jemand nass wird, dann ich. Und Angst? Dafür gibt es keinen Grund. Sie werden sehen: Gleich mögen Sie gar nicht mehr aussteigen!“
„Glauben Sie?“ Ein zweifelnder Blick aus dunklen Augen.
„Ganz sicher, Frau Marcinkovska!“
Sie rückt ihr geblümtes Halstuch zurecht. „Ach bitte, nennen Sie mich doch Martha.“
„Gerne, Frau Marcinkovska.“ Ich schließe ihren Sicherheitsgurt. Die Dame riecht nach einem frischen, vielleicht ein wenig zu jugendlichen Parfüm.
„Martha“, wiederholt sie. „Das ist weniger umständlich.“
„Sicher“, sage ich, setze mich hinter den Lenker, starte die elektrische Unterstützung und trete in die Pedale. „Ein Stündchen durch die Natur, Martha?“
„Bitte. Das wäre mein Wunsch heute.“
Wir verlassen das auf einem ehemaligen Industriegelände errichtete Neubauviertel mit seinen seniorengerechten Wohnblocks, rollen ein paar hundert Meter über den ruppigen Radweg an der viel befahrenen Umgehungsstraße und flüchten dann ins Grüne.
„Darf man Sie während der Fahrt ansprechen?“, fragt Martha.
„Ich bitte darum. Wir sitzen hier nicht im Linienbus. Ich unterhalte Sie, Sie unterhalten mich.“
Ich zirkele die Rikscha um ein Absperrgitter herum und schlage den Weg Richtung Fluss ein.
„Warum machen Sie das eigentlich?“, fragt Martha.
„Was?“
„Diese Rikscha-Touren.“
„Weil ich Radfahren liebe. Weil man mich gefragt hat. Weil ich mich gerne unterhalte …“
„Mit alten Frauen?“
„Alter ist eine Frage der Perspektive“, sage ich. „Und der Selbstwahrnehmung.“
„Aha.“
„Zwei Semester Philosophie“, erkläre ich. „Bevor ich mich entschieden habe, Lehrer zu werden.“
„Lehrer“, wiederholt Martha. „Lassen Sie mich raten: Sport und Geographie?“
„Beinahe richtig“, sage ich. „Sport und Deutsch. Und ehe Sie jetzt ein Klischee über den Lehrerberuf bemühen: Nein, zu viel Zeit habe ich nicht. Aber einen Nachmittag opfere ich gerne.“
„So, so. Sie opfern also …“
Ich spüre, wie mir das Blut in den Kopf steigt. „Soll heißen: Ich mache das hier ehrenamtlich. Wie alle anderen Mitglieder unseres Fahrdienstes.“
Zur Linken blüht ein Feld – Raps, Senf oder Klee – und die wilden Kirsch- oder Apfelbäume am Flussufer stehen in voller Pracht.
„Wunderschön! Und wie das duftet!“ Martha klingt begeistert. „Wissen Sie: Ich bin hier aufgewachsen, bevor es mich wegen der Liebe nach Würzburg verschlagen hat. Würzburg ist beeindruckend, keine Frage, aber als mein Mann, starb, musste ich zurück. Heimweh nach dem Niederrhein.“
Wir überqueren den Fluss und biegen hinter der Brücke ab in ein kleines Wäldchen.
„Früher war hier ganz in der Nähe ein Bauerncafé“, sagt Martha. „Da bin ich mehr als einmal in den Mai getanzt. Früher. Lange vorbei …“
„Ihr Café gibt es tatsächlich immer noch. Hat leider nur am Wochenende geöffnet. Also nicht heute. Personalmangel vermutlich.“
„Schade.“
Wir passieren eine Hofanlage, deren Wohnhaus wie ein verwunschenes Schloss wirkt. In den Ställen stehen Pferde, auf einer Weide toben freche Zicklein und Lämmer durch saftiges Gras.
„Es lebe die Jugend“, sagt Martha. „Beneidenswert.“
„Allerdings“, stimme ich zu. Ein paar Minuten fahren wir schweigend dahin, ehe ich frage: „Wieder in der Heimat. Sehr lange wohnen Sie aber noch nicht hier, oder?“
„Zwei Monate. Und wenn ich ehrlich bin: Ganz ohne Hintergedanken war meine Rückkehr nicht. Mein Sohn lebt in der Nähe und ich hatte gehofft …“
Sie bricht ab.
„In der Nähe?“, frage ich. „Das heißt?“
„Im Düsseldorfer Norden.“
„Eine halbe Autostunde entfernt also.“
„Vierzig Minuten“, korrigiert Martha. „Falls kein Stau auf der Autobahn ist. Ich wäre gerne näher zum ihm gezogen. Nur ist Düsseldorf unverschämt teuer. Und als ich dann hier günstig ein Appartement bekommen konnte, habe ich zugegriffen. Allerdings: ‚Seniorengerecht‘ ist ein großes Wort. Um Senioren wirklich gerecht zu werden, fehlen hier kulturelle Angebote und soziale Kontakte … “
Wieder bricht sie ab.
„Sie hätten gerne mehr von Ihrem Sohn, richtig?“
Martha seufzt.
„Sicher. Aber Paul braucht halt seine Energie, um die Karriereleiter hinaufzuklettern …“
Ich werfe einen raschen Blick auf das Display am Lenker der Rikscha.
„Energie ist ein gutes Stichwort“, sage ich. „Mein Akku hat keine zwanzig Prozent Leistung mehr. Wir sollten bald zurück.“
„Wie schade!“
„Hatte ich nicht vorausgesagt, dass Sie am liebsten nicht mehr aussteigen würden?“
„Das haben Sie.“
Ich wähle den kürzest möglichen Weg. Er führt ein gutes Stück an der lauten, belebten Straße entlang. Vielleicht hilft das Martha, das Ende dieser Ausfahrt leichter zu akzeptieren. Als wir in Richtung ihres Wohnblocks abbiegen, fragt sie: „Hätten Sie denn noch die Zeit, einen Kaffee mit mir zu trinken? Unser Haus hat ein hübsches Bistro, der Kuchen ist nicht übel – und vielleicht mögen Sie sich noch ein wenig länger mit mir so nett unterhalten. Eine Steckdose für Ihre Batterie gibt es dort sicher auch – und natürlich sind Sie eingeladen …“
Kann ich das abschlagen? Nein.
Und bestreiten, dass auch mir der gemeinsame Ausflug Spaß gemacht hat, ebenso wenig.
Also sage ich: „Sehr gerne, Martha!“, und steuere den Parkplatz an.

 

Zusammenstellung: Gertrud Inderfurth