Wohngebiet und Straßennamen zeugen von Viersener Beginen
Anlässlich des 20jährigen Bestehens fand vor Kurzem das internationale Beginentreffen in Königswinter statt. Die heutigen Beginen erproben in erster Linie eine Form des Zusammenlebens, die einerseits ihren spirituellen Bedürfnissen und dem Wunsch nach Selbstbestimmung entspricht, ihnen andererseits die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft mit Gleichgesinnten bietet. Sie sind meist international vernetzt. Und auch in Viersen gab es Beginen. Die Bezeichnung „Beghinenhof“ für ein Viersener Wohngebiet sowie die Straßenbezeichnungen „Am Kloster“ und „Klosterweiher“ lassen Rückschlüsse auf das Vorhandensein eines Ordenshauses zu. In der Tat reichen deren Wurzeln bis ins Jahr 1408 zurück, in dem die Schwestern Gertrud, Agnes und Katharina ter Dyck auf ihrem Gutshof einen Beginenkonvent gründeten, dem sich auch Viersener Mädchen und Frauen anschlossen.
Entstehung, Entwicklung und Niedergang der Beginenbewegung
Kirchliches Leben im frühen Mittelalter gestaltete sich nicht einheitlich. Viele Klöster versuchten, durch neue, rein verstandesmäßige Methoden ein vertieftes Verständnis des Glaubens zu erlangen, in anderen zeichneten sich deutliche Tendenzen zu Verfall und Verweltlichung ab. Als Antwort darauf entstand ab dem 12. Jahrhundert eine neue Bewegung, die Gott durch „Innenschau“ (Mystik) näherkommen wollte. Später bildeten sich Bettelorden sowie Zusammenschlüsse von Beginen (Frauen) und Begarden (Männern) heraus; vermutlich geht die Namensbezeichnung auf den Begriff ‚Begharde‘ = niederländisch ‚Bettler‘ zurück. Sie lebten asketisch und strebten den Dienst am Nächsten an. Hierzu gehörten vor allem Krankenpflege, Sterbe- und Begräbnisdienste sowie das Unterrichten der Kinder, oft der Mädchen. Vielerorts war ihnen auch ökonomischer Erfolg beschieden, denn das Weben von Tuchen und die Anfertigung von Wäschestücken sicherte ihren Lebensunterhalt und den des Konventes.
In den Anfängen lebten die Beginen ohne Ordensbindung zusammen. Sie leisteten kein Gelöbnis, sondern nur ein Versprechen, das sie jährlich erneuerten. Später wurden sie zu Terziarinnen und Terziaren (terz= drei), da sie sich der dritten Regel eines Ordensgründers anschlossen. Beispielhaft sei hier der Hl. Franziskus von Assisi angeführt, der 1221 Ordensregeln niederschrieb, die für Mitglieder galten, die nicht alle Bedingungen erfüllen konnten, weil sie beispielsweise verheiratet waren. Diese franziskanischen Vorschriften, die vom Papst genehmigt wurden, erfreuten sich allgemeiner Beliebtheit, denn sie sprachen die Bedürfnisse der Menschen bestmöglich an; das Regelwerk anderer Orden war strenger.
Beginen brachten bei Eintritt in die Gemeinschaft ihren Besitz ein, waren aber nicht an den Konvent gebunden. Während ein erwirtschafteter Zins in der Gemeinschaft blieb, hatten die Schwestern meist die Möglichkeit, ihr eingebrachtes Gut mitzunehmen. Sofern sie ledig waren, stand ihnen auch der Weg der Heirat offen. Sie verpflichteten sich allerdings für die Dauer ihrer Zugehörigkeit, die Regeln der Gemeinschaft zu befolgen. Hierzu gehörte z.B. das Schweigegelübde bei den Mahlzeiten oder das Verlassen des Konventbereichs nur in Begleitung einer Mitschwester. Beginen wählten eine Magistra, eine Mitschwester, die dem Konvent vorstand. Sie trugen meist einen grauen Habit und einen weißen Schleier (Begarden nur ein graues Habit).
Für die Frauen des Mittelalters bot das Leben in einem Beginenkonvent entscheidende Vorteile: Sie konnten sich der Vormundschaft, der ‚Munt‘, der Männer entziehen und ihren Lebensunterhalt selbst verdienen. Außerdem führten sie auf diese Weise auch eine gesellschaftlich akzeptierte Trennung von Tisch und Bett herbei, ohne sich offiziell scheiden zu lassen.
Ab dem 15. Jahrhundert überschritt die Bewegung der Beginen und Begarden ihren Zenit, es erfolgten immer weniger Neugründungen. Dazu kommt, dass Papst Nikolaus etwa um 1450 die Mitglieder der Konvente verpflichtete, die 1. Regel eines Ordensgründers, z.B. des hl. Franziskus anzunehmen. Die Beginen mussten das Gelübde ablegen. Der ursprünglichen Idee des freiwilligen Zusammenschlusses von Frauen oder Männern ohne Ordensbindung war damit ein Ende gesetzt. Auffallend ist, dass sich gegen Ende des 15. Jahrhunderts viele Begharden dem Alexianerorden anschlossen, der bis heute existiert.
Letztendlich sorgte die Ausbreitung der Reformation ab dem 16. Jahrhundert dafür, dass Beginen- und Begarden ihre Konvente auflösten oder anderen Orden beitraten – die Situation unterschied sich in den einzelnen Orten. Eine entscheidende Position kam den jeweiligen Stadträten zu. Befürwortete er den Konvent, konnten sich die Beginen seines Schutzes versichern und weiter arbeiten. Meistens agierten auch die Magistra sehr umsichtig: Obwohl ihr Konvent keine Abgaben an die Stadt zu leisten hatte, bezahlten sie sie trotzdem – in der Erwartung, so die Unabhängigkeit ihres Konventes sichern zu können. (Würde die Gemeinschaft aufgelöst werden, fehlen die Beträge im Stadtsäckel). Auf diese Weise konnten Beginen z.B. in Köln lange in ihrer Gemeinschaft leben.
Beginen in Viersen
In Viersen begann alles mit den Schwestern Gertrud, Agnes und Katharina ter Dyck, die 1408 auf ihrem Gutshof einen Beginenkonvent gründeten. Sie erbauten 1423 ein zweistöckiges Gebäude (Klause), 1424 erhielten Sie die offizielle Anerkennung als Beginenkonvent. 1437 traten die Beginen dem Orden der „regulierten Tertiarinnen des hl. Franziskus“ bei. Somit wurde aus den freien Beginen in Viersen schon nach 14 Jahren Franziskanerinnen.
Weihbischof Johannes Schleeter aus Köln konsekrierte am 25. Januar 1439 eine neu gebaute Klosterkapelle. Da an diesem Tag der Festtag gefeiert wird, erhielt auch das Kloster den Namen ‚Sankt Pauli Bekehrung‘. Es nahm maximal 50 Frauen auf und beschäftigte zahlreiche Knechte und Mägde, für die zwei Gesindehäuser errichtet wurden. Durch die Tätigkeiten im Alten- und Krankenpflegebereich sowie in der Unterrichtung vom Mädchen genoss es in Viersen hohes Ansehen. Dies sorgte vermutlich auch für eine hohe Zahl an Grundstücksschenkungen, die dem Kloster zuteilwurden. Außerdem wurde am Klosterbach eine Mühle betrieben.
- Das Gebäude der Klostermühle, das in den 1960er Jahren abgetragen wurde. Quelle: Stadtarchiv Viersen, KAV, N 86, 1780.
Ein französisches Gesetz vom 31. August 1796 bestimmte die Enteignung kirchlicher Güter, in dessen Folge, am 11. August 1802, die verbliebenen Schwestern ihre Tracht ablegen und das Kloster verlassen mussten.
In einem Teil der Wohnräume zog der zuständige französische Domainenbeamte ein; ab 13. September 1802 verpachtete er das Kloster. Wertvolle Einrichtungsgegenstände der Kapelle übergab er der Kirche St. Remigius. Für die enteigneten kirchlichen Grundstücke sah das französische Recht eine Versteigerung vor. Auffällig ist, dass Viersener Bauern sich nicht am Ausverkauf des Klosters beteiligten – der Grund dafür wird in den guten Beziehungen vermutet, die die Schwestern mit der dörflichen Bevölkerung pflegten.
Von jeher gehörte, aufgrund des Flachsanbaus, die Tuchherstellung zum Niederrhein. Die Erfindung von Webstühlen, die mit Dampf betrieben wurden, bewirkte den Wandel von der Hausweberei zu maschinell hergestellten Tuchen, für die Fabriken (und Investoren) benötigt wurden. Am 30. August 1811 ging das Gelände an den Dülkener Fabrikanten Hönning. Alte Aufzeichnungen berichten 1819 von Abriss der inzwischen 380 Jahre alten, nutzlosen Kapelle St. Pauli Bekehrung sowie von der Zuschüttung des Klosterweihers in den 1910er Jahren.
Bis zum 21. Mai 1880 wechselte die Immobile einige Male ihre Besitzer, dann erwarb die Krefelder Seidenfirma Rüdenberg, Mastbaum und Co. die Gebäude und nannte sie am 15.04.1897 in Mechanische Seidenweberei um. Inhaber waren die Gebrüder Reifenberg, die das Unternehmen aufgrund ihrer jüdischen Abstammung 1938 verkauften und auswanderten. 1973 zog die ‚Mechanische Seidenweberei AG Viersen‘ zum Hosterfeld um. Das Fabrikgebäude wurde 1974 abgerissen – 564 Jahre Leinen- und Seidenproduktion in Viersen verschwanden nun – genauso wie Relikte aus der Beginenzeit – aus dem Blickfeld der Viersener Bevölkerung.
Die Website „ https://www.dachverband-der-beginen.de/beginenkultur“ enthält neben weiteren, aktuellen Informationen auch eine Angabe darüber, ob Anmeldungen zum internationale Beginentreffen vom 23. bis 25. August 2024 im Arbeitnehmer-Zentrum Königswinter noch möglich sind.
Auch heutzutage beschäftigen sich Frauen mit der Philosophie und der Lebensweise der Beginen, teils aufgenommen in die Handlung von Krimis und Romanen. Hier ein paar Literaturempfehlungen:
- Swan, Laura: „Die Weisheit der Beginen“, Freiburg im Breisgau, 2023
- Schacht, Andrea – Mittelalter Krimis um die Begine Almut Bossart, Bände 1- 5, z.B.: „Der dunkle Spiegel“; 2003 (Band 1)
- Winterstein, Klara: „Beginenhochzeit“ (historischer Roman), Berlin 2010
Ute Hölter